Bei Bauarbeiten für die Errichtung einer Mehrfamilienhauses in der Gifhorner Innenstadt im September 2024 wurden unerwartet Schädel gefunden. Das machte eine archäologische Baubegleitung notwendig.
Das Grundstück liegt im Winkel zwischen der Mühlenaller und der ehemaligen Stadtbefestigung, dem sogenannten Knickwall, der noch im 19. Jh. die westliche Grenze des bebauten Stadtgebiets darstellte. Zur Herstellung eines tragfähigen Baugrunds musste der Oberboden tiefgründig abgetragen werden. Dabei kamen in rund 2 m Tiefe vor einer mutmaßlichen Uferbefestigung zwei menschliche Schädel zum Vorschein.
Was Ingo Eichfeld, von der Kreis- und Stadtarchäologie Gifhorn, bisher herausfand, ist längst Thema von landesweiten Fachmagazinen. Die aufgrund der Feuchtbodenlagerung schwarz verfärbten Schädel lagen direkt übereinander, was ebenso wie das Fehlen weiterer Knochen eine absichtliche Deponierung annehmen lässt. Die Gesamtumstände sprechen dafür, dass die Schädel in der zweiten Hälfte des 17. Jh. niedergelegt worden sind. Beide Schädel sind älteren Individuen zuzuordnen, einer Frau und einem Mann.
Auch ihre pathologischen Veränderungen weisen auf ein höheres Alter hin und dass sie vermutlich aus den Gräbern eines Friedhofs stammen. Während der zuoberst gefundene Frauenschädel keine Auffälligkeiten zeigt, fehlt beim Männerschädel das Schädeldach. Bemerkenswert sind auch zwei Sägespuren am Stirnbein oberhalb der rechten Augenöffnung. Die Manipulationen wurden vorgenommen, als der Schädel bereits skelettiert war. Der sehr sauber und perfekt horizontal angelegte Sägeschnitt belegt eine geschulte handwerkliche Ausführung. Vermutlich wurde diese »Sektio« von einem Heilkundigen im Rahmen einer anatomischen Untersuchung vorgenommen.
Im 17. Jh. gab es noch keine akademisch ausgebildeten Ärzte in Gifhorn. Archivalisch nachgewiesen sind aber sog. Handwerkschirurgen wie Bader, Barbiere, Wundärzte oder Feldscher. Hat vielleicht ein Angehöriger dieser Berufsgruppe eine heimliche Studie vorgenommen? Die Rätsel bleiben.
Abb. A: Der männliche Schädel direkt nach der Auffindung (Foto: I: Eichfeld / Kreis- und Stadtarchäologie Gifhorn).
Abb. B: Aufsicht auf die glatte Sägespur im Bereich des Stirnbeins, der rote Pfeil markiert das Nasenbein, die schwarzen Pfeile die Sägespuren oberhalb der Augenöffnung (Foto: S. Grefen-Peters, Braunschweig).